Bewertungsplattformen strategisch nutzen: Schluss mit dem Versteckspiel
- office79735
- vor 5 Tagen
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Kununu, Glassdoor & Co. sind keine Feinde. Sie sind Spiegel. Wer hineinblickt, sieht die Wahrheit über sein Unternehmen. Manche Wahrheiten tun weh. Aber nur wer sie kennt, kann handeln.
Der Elefant im Raum
Während Sie diese Zeilen lesen, schauen gerade 47 potenzielle Bewerber auf Ihr kununu-Profil. Drei davon entscheiden in diesem Moment, sich doch nicht zu bewerben. Der Grund ist eine unbeantwortete Bewertung von 2022, in der ein Ex-Mitarbeiter Ihrem Vorgesetzten schlechte Führung vorwirft. Diese Bewertung steht dort seit Monaten, unkommentiert, wie ein offener Brief an alle, die vorbeikommen.
Unternehmen behandeln Bewertungsplattformen wie einen peinlichen Verwandten auf der Familienfeier - man redet nicht über ihn und hofft, dass er von selbst verschwindet. Dabei sind die Zahlen so klar wie ein Sommermorgen: 91 Prozent aller Bewerber nutzen diese Plattformen zur Recherche, bevor sie sich entscheiden, ob sie eine Bewerbung schreiben. Das ist längst kein Trend mehr, das ist die neue Realität des Arbeitsmarktes.
Die Auswirkungen sind messbar und schmerzhaft. Jede Employer Branding Agentur kann ein Lied davon singen. Ein Punkt weniger auf der Bewertungsskala kostet Sie 15 Prozent Ihrer potenziellen Kandidaten. Bei einem Fachkräftemangel, der ganze Branchen lahmlegt, ist das ein Luxus, den sich niemand leisten kann. Trotzdem ignorieren viele Unternehmen ihre Online-Reputation mit der Beharrlichkeit eines Straußes, der den Kopf in den Sand steckt.

Aber hier ist das Problem: Der Sand verschwindet nicht. Er wird nur tiefer. Bewerber lesen nicht nur die Durchschnittsnote und klicken weiter. Sie graben tiefer, bohren nach, suchen nach Mustern und Wiederholungen. Sie lesen zwischen den Zeilen und erkennen Codes, die Unternehmen oft selbst nicht sehen. Wenn fünf verschiedene Menschen unabhängig voneinander schreiben, dass bei Ihnen "Work-Life-Balance nur ein Buzzword" ist, dann glaubt Ihnen kein Bewerber mehr Ihre Stellenanzeige mit den "flexiblen Arbeitszeiten" und der "ausgewogenen Work-Life-Balance".
Drei Irrtümer, die Unternehmen Geld kosten
Der erste und vielleicht kostspieligste Irrtum ist die Annahme, dass Schweigen Souveränität ausstrahlt. Viele Unternehmen glauben, wer nicht auf Bewertungen antwortet, wirke überlegen, als stehe man über solchen Kleinigkeiten. Das Gegenteil ist der Fall. Wer nicht antwortet, wirkt arrogant oder hilflos, manchmal sogar beides gleichzeitig. Schweigen mag in der Diplomatie Gold sein, aber im Internet ist es pures Gift.
Jede unbeantwortete Bewertung sendet eine klare Botschaft an jeden, der sie liest: "Uns interessiert nicht, was unsere Mitarbeiter denken. Feedback ist uns egal. Wir stehen über Kritik." Diese Botschaft lesen nicht nur Ex-Mitarbeiter, sie lesen auch alle künftigen Bewerber. Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein Restaurant und sehen an der Wand Beschwerden der letzten Gäste. Daneben hängen leere Zettel, wo die Antworten des Besitzers stehen sollten. Würden Sie bleiben und bestellen? Oder würden Sie das Lokal wechseln?
Der zweite Irrtum ist der Glaube, schlechte Bewertungen würden mit der Zeit verschwinden wie Herbstlaub im Wind. Das Internet vergisst nie. Ihre schlechte Bewertung von 2019 steht immer noch da, und sie wird auch 2029 noch da stehen, wenn Sie nichts unternehmen. Schlimmer noch, negative Bewertungen wirken wie Magnete auf weitere Unzufriedene. Psychologen nennen das den "Pile-On-Effekt" - ein Unzufriedener macht anderen Mut, ihre Geschichte ebenfalls zu erzählen. Plötzlich entsteht eine Lawine aus Frustration und Enttäuschung.
Die Folge ist verheerend: Aus einer schlechten Bewertung werden drei, aus drei werden zehn. Die Unzufriedenen dominieren Ihr Profil, obwohl sie nur einen Bruchteil Ihrer Belegschaft ausmachen. Aber Wahrnehmung ist stärker als Statistik, und die Wahrnehmung Ihres Unternehmens wird von den lautesten Stimmen geprägt, nicht von den zufriedenen Schweigern.
Der dritte Irrtum ist die Resignation: "Wir können das sowieso nicht steuern." Doch, das können Sie. Und Sie sollten es auch tun. Bewertungsplattformen sind keine Naturgewalt wie Erdbeben oder Tsunamis. Sie sind Kommunikationskanäle, und Kommunikation können Sie gestalten. Nicht manipulieren, nicht fälschen, aber sehr wohl gestalten. Der Unterschied zwischen Manipulation und Gestaltung ist simpel: Manipulation sucht die Lüge, Gestaltung sucht die bessere Wahrheit.
Die Anatomie einer Bewertung
Um Bewertungsplattformen strategisch zu nutzen, müssen Sie verstehen, wie Bewertungen funktionieren. Was schreiben Mitarbeiter wirklich, und was lesen Bewerber daraus? Nehmen wir diese typische Bewertung: "Nettes Team, aber die Führung könnte besser sein. Überstunden sind normal. Gehalt ist okay." Auf den ersten Blick klingt das ausgewogen, fast neutral.
Aber schauen wir genauer hin. Was der Schreiber eigentlich meint: Er mag seine direkten Kollegen und arbeitet gerne mit ihnen zusammen. Er hat jedoch Probleme mit seinem Vorgesetzten oder der Führungsebene generell. Die Arbeitsbelastung ist höher, als ihm lieb ist, und er muss regelmäßig länger bleiben. Sein Gehalt liegt vermutlich im unteren Mittelfeld, reicht aber zum Leben.
Was aber liest ein Bewerber daraus? Er versteht: Hier herrscht systematisch schlechte Führung, Überstunden sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, und das Gehalt liegt unter dem Marktüblichen. Der Ton transportiert dabei oft mehr als die Worte selbst. "Nettes Team" klingt nach Kindergarten, nicht nach professioneller Zusammenarbeit. "Führung könnte besser sein" nach strukturellen Problemen im Management. "Überstunden sind normal" nach systematischer Ausbeutung.
Wenn sich solche Formulierungen in mehreren Bewertungen wiederholen, entsteht ein Gesamtbild, das die Wahrnehmung Ihres Unternehmens nachhaltiger prägt als jede noch so gut formulierte Stellenanzeige. Deshalb ist es entscheidend, dass Sie nicht nur hinhören, sondern auch verstehen, was zwischen den Zeilen steht.
Strategie statt Panik: Der systematische Ansatz
Erfolgreiches Management von Bewertungsplattformen beginnt mit systematischem Zuhören. Richten Sie Google Alerts ein, die Sie sofort informieren, wenn Ihr Unternehmen irgendwo bewertet wird. Prüfen Sie mindestens wöchentlich Ihre Profile auf kununu, Glassdoor, Indeed und anderen relevanten Plattformen. Das klingt nach viel Arbeit, ist aber weniger aufwendig als die Reparatur eines ramponiertes Rufes.
Tools wie Reputation.com oder Brand24 können das Monitoring automatisieren. Sie kosten Geld, sparen aber die Zeit, die Sie brauchen, um schnell und angemessen zu reagieren. Dokumentieren Sie dabei nicht nur einzelne Bewertungen, sondern vor allem Trends und Muster. Wenn drei Bewertungen in zwei Monaten dasselbe Problem ansprechen, ist das kein Zufall mehr, sondern ein systematisches Problem, das Handlungsbedarf signalisiert.
Das Antworten auf Bewertungen ist eine Kunst für sich. Jede Bewertung verdient eine Antwort, die guten genauso wie die schlechten, die ausführlichen genauso wie die knappen. Aber besonders bei kritischen Bewertungen zählt jedes Wort. Antworten Sie immer innerhalb von 48 Stunden, bleiben Sie sachlich, auch wenn die Bewertung emotional oder sogar unfair ist. Danken Sie für das Feedback, auch wenn es wehtut. Laden Sie zur persönlichen Klärung ein, erklären Sie Ihre Sicht der Dinge, aber rechtfertigen Sie sich nicht wie ein Angeklagter vor Gericht.
Eine gute Antwort auf eine schlechte Bewertung könnte so aussehen: "Vielen Dank für Ihr ehrliches Feedback zu Ihrer Zeit bei uns. Es tut uns aufrichtig leid, dass Sie diese negativen Erfahrungen gemacht haben, besonders in Bezug auf die Führungskultur. Die von Ihnen angesprochenen Punkte nehmen wir sehr ernst und haben bereits konkrete Maßnahmen eingeleitet, um unsere Führungskultur zu verbessern und ein besseres Arbeitsumfeld zu schaffen. Falls Sie mögen, laden wir Sie gerne zu einem persönlichen Gespräch ein, um mehr über Ihre Erfahrungen zu erfahren und Ihnen unsere Fortschritte zu erläutern."
Was macht diese Antwort erfolgreich? Sie erkennt das Problem an, ohne es wegzudiskutieren oder zu relativieren. Sie zeigt echte Handlungsbereitschaft statt hohler Versprechungen. Sie öffnet die Tür für einen konstruktiven Dialog, statt die Diskussion zu beenden. Und sie signalisiert anderen Lesern, dass hier ein Unternehmen am Werk ist, das Feedback ernst nimmt und daraus lernt.
Das aktive Gestalten der Bewertungslandschaft
Warten Sie nicht passiv auf Bewertungen wie auf Weihnachten. Werden Sie aktiv und fördern Sie Bewertungen von zufriedenen Mitarbeitern. Aber Vorsicht vor plumpen Bitten um gute Bewertungen. "Könnten Sie uns eine gute Bewertung schreiben?" klingt nach billiger Manipulation. "Falls Sie mögen, würden wir uns über eine ehrliche Bewertung Ihrer Erfahrungen bei uns freuen" klingt nach echtem Interesse an Feedback.
Der Zeitpunkt für solche Bitten ist entscheidend. Fragen Sie nach positiven Erlebnissen, nach erfolgreichen Projektabschlüssen, nach Beförderungen oder nach gelungenen Teambuilding-Events. Dann ist die Stimmung gut und die Bereitschaft zur Bewertung hoch. Aber vergessen Sie dabei nie: Authentizität schlägt Quantität. Eine ehrliche, differenzierte Bewertung, die sowohl Positives als auch Verbesserungspotenzial erwähnt, ist mehr wert als zehn oberflächliche Lobeshymnen, die nach PR-Aktion riechen.
Nutzen Sie schlechte Bewertungen als das, was sie sind: unverpackte, aber wertvolle Geschenke. Sie zeigen Ihnen schonungslos, wo Sie stehen, wo Sie Probleme haben und wo Sie ansetzen müssen. Sammeln Sie die Kritikpunkte systematisch, kategorisieren Sie sie nach Themenbereichen und diskutieren Sie sie regelmäßig in der Führungsrunde. Leiten Sie konkrete Maßnahmen ab und kommunizieren Sie diese Maßnahmen auch. In neuen Antworten auf alte Bewertungen, in Mitarbeitergesprächen, in Ihren Stellenanzeigen. Zeigen Sie, dass Sie ein lernendes Unternehmen sind, das sich kontinuierlich verbessert und bei dem Kritik echte Konsequenzen hat.
Die Wahrheit über gefälschte Bewertungen
Lassen Sie es bleiben. Einfach lassen. Gefälschte positive Bewertungen erkennt heute jeder halbwegs aufmerksame Leser. Sie klingen wie Werbetexte, verwenden Firmenjargon und sind verdächtig euphorisch. Schlimmer noch: Plattformen wie kununu haben inzwischen ausgeklügelte Algorithmen entwickelt, die Fake-Reviews zuverlässig erkennen. Werden Sie erwischt, landen Sie auf einer schwarzen Liste, und Ihre Glaubwürdigkeit ist für Jahre dahin.
Echte Bewerber haben feine Antennen für Authentizität entwickelt. Sie merken intuitiv, wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein. Investieren Sie die Zeit und Energie, die Sie in gefälschte Bewertungen stecken würden, lieber in echte Verbesserungen Ihrer Arbeitsplatzqualität. Die zahlen sich langfristig aus und schaffen eine solide Basis für authentisch positive Bewertungen.
Der Erfolg ist messbar
Wichtige Kennzahlen gehen weit über den simplen Bewertungsschnitt hinaus. Wichtiger ist die Entwicklung über die Zeit. Verbessern Sie sich kontinuierlich, auch wenn es nur um Zehntel-Punkte geht? Die Antwortquote zeigt Ihr Engagement - 100 Prozent sollten das langfristige Ziel sein. Die Antwortgeschwindigkeit zeigt Ihre Professionalität: unter 48 Stunden ist gut, unter 24 Stunden ist exzellent.
Die Weiterempfehlungsrate ist jedoch der wichtigste Indikator. Würden Ihre aktuellen Mitarbeiter Sie als Arbeitgeber weiterempfehlen? Wenn ja, wie viele? Und schließlich die Bewerbungsqualität: Kommen mehr qualifizierte Kandidaten? Stellen sie weniger Fragen zu Gehalt und Arbeitszeiten, weil sie die Antworten bereits aus den Bewertungen kennen? Das sind die Kennzahlen, die Ihren wirklichen Erfolg messen.
Vom Getriebenen zum Gestalter
Bewertungsplattformen sind eine Realität, die nicht mehr verschwindet. Sie können Ihr größter Feind sein oder Ihr wirksamster Verbündeter. Wer sie strategisch nutzt, verwandelt Kritik in qualifizierte Kandidaten. Der erste Schritt ist immer derselbe: Aufhören, sie zu fürchten. Der zweite: Anfangen, sie zu nutzen.
Während Ihre Konkurrenz noch schläft, schlechte Bewertungen ignoriert und sich über mangelnde Bewerbungen wundert, können Sie vorangehen. Sie können zeigen, dass Ihr Unternehmen Feedback ernst nimmt, daraus lernt und sich kontinuierlich verbessert. Das ist modernes Employer Branding: nicht das Verstecken von Problemen, sondern der professionelle, transparente Umgang mit ihnen.
Prüfen Sie jetzt Ihre Profile. Heute, nicht morgen. Denn während Sie noch zögern, liest gerade der nächste potenzielle Mitarbeiter, was andere über Sie denken. Und entscheidet, ob er sich bewirbt oder weiterzieht.