Weinverkostung in Wien: Eine Hauptstadt trinkt sich schön
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Wer glaubt, Großstädte und Weinberge schlössen sich aus, der kennt Wien nicht. Hier, zwischen Stephansdom und Donau, wächst seit zweitausend Jahren Wein. Nicht irgendwo draußen auf dem Land, sondern mitten in der Stadt. 700 Hektar Rebfläche innerhalb der Stadtgrenzen – das ist Rekord in Europa, vielleicht sogar weltweit.
Wien überrascht. Immer. Auch den, der glaubt, die Stadt zu kennen. Wer morgens durch die Altstadt flaniert und abends in Grinzing den Heurigen besucht, erlebt zwei Welten. Die eine: Kaisertum und Kaffeehäuser. Die andere: Weinreben und Wienerlieder. Beide gehören zu Wien wie der Prater und die Sachertorte.
Die Zahlen sprechen für sich: 180 Weinbaubetriebe bewirtschaften die Wiener Rebflächen. Rund 2,3 Millionen Liter Wein werden jährlich produziert. Das klingt viel, ist aber wenig im Vergleich zu anderen Weinregionen. Dafür ist die Qualität umso beeindruckender. Wiener Weine gewinnen internationale Preise, erobern ausländische Märkte, begeistern Kenner weltweit.

Wein aus der Kaiserzeit
Die Römer brachten den Wein. Das war vor zweitausend Jahren, als Wien noch Vindobona hieß. Schon damals verstanden die Bewohner etwas vom Trinken. Marcus Aurelius soll hier seinen Wein geschätzt haben – ob das stimmt, weiß niemand so genau. Aber die Geschichte klingt gut, und in Wien liebt man gute Geschichten.
Die mittelalterlichen Klöster perfektionierten den Weinbau. Stift Klosterneuburg, nur wenige Kilometer vor Wien, entwickelte schon im 12. Jahrhundert systematische Anbaumethoden. Die Mönche selektionierten die besten Reben, experimentierten mit Gärungsverfahren, legten Grundsteine für die heutige Qualität.
Die Habsburger machten aus dem Weinbau ein System. Jeder Bürger durfte seinen eigenen Wein ausschenken, acht Tage im Jahr, solange der Vorrat reichte. So entstanden die Heurigen. Der grüne Zweig über der Tür zeigte an: Hier gibt es frischen Wein. Diese Tradition lebt bis heute, geschützt durch strenge Gesetze.
Kaiser Joseph II. revolutionierte 1784 das Heurigenwesen. Seine berühmte Zirkularverordnung erlaubte jedem Weinbauern, seinen eigenen Wein ohne Lizenz auszuschenken. Voraussetzung: Es durfte nur eigener Wein sein, nur kalte Speisen gereicht werden. Diese Regel gilt noch heute und macht den Unterschied zwischen echten Heurigen und gewöhnlichen Gasthäusern.
Heute wachsen auf Wiens Hügeln vor allem Grüner Veltliner und Riesling. Dazu kommen Chardonnay, Sauvignon Blanc und sogar Pinot Noir. Die Wiener Winzer haben gelernt. Ihre Weine schmecken nach mehr als nur Tradition. Sie schmecken nach Können.
Wo Wien trinkt
Die Heurigen: Authentisch bis zum Anschlag
Grinzing ist der Klassiker. Jeder Tourist kennt Grinzing. Deshalb meiden es viele Wiener. Zu Unrecht. Denn hier oben, wo die Straßenbahn endet und die Weinberge beginnen, schmeckt Wien noch wie früher. Der Heurigenkalender regelt, wer wann ausschenkt. Nur eigener Wein, nur eigene Küche. So will es das Gesetz.
Beim Fuhrgassl-Huber sitzen die Gäste unter jahrhundertealten Kastanien. Der Gastgarten fasst 800 Personen, trotzdem wirkt er gemütlich. Der Wein kommt aus dem eigenen Keller, die Jause von der eigenen Küche. Hier gibt es keine Experimente, nur Tradition. Grüner Veltliner, trocken und frisch. Dazu Liptauer und Verhackertes. Mehr braucht ein Heuriger nicht.
Das Weingut Zimmermann in Grinzing beweist, dass Tradition und Moderne sich vertragen. Seit 1678 wird hier Wein gemacht, heute in der zehnten Generation. Die Kellerei ist hochmodern, der Heurige urig geblieben. Im Glasgang zwischen alter und neuer Kellerei hängen Fotos aus drei Jahrhunderten. Geschichte zum Anfassen.
Sievering ist ruhiger, Nußdorf ursprünglicher. Hier sitzen noch echte Wiener, nicht nur Touristen. Bei Mayer am Pfarrplatz komponierte einst Beethoven seine "Pastorale". Heute trinken hier Einheimische ihren Viertel. Der Wiener sagt nicht Glas, er sagt Viertel. Ein Viertelliter, das ist die richtige Menge. Nicht zu wenig, nicht zu viel.
Der Heiligenstadt Heuriger Sirbu ist ein Geheimtipp. Hier treffen sich Weinkenner, Musiker, Literaten. Der Gastgarten liegt versteckt in einem Innenhof, die Atmosphäre ist intim, fast conspirativ. Der Hausherr schenkt nur aus, wenn er Lust hat. Manchmal schließt er spontan, weil ihm die Gäste nicht passen. Diese Willkür ist Teil des Charmes.
Moderne Weingüter: Wien neu interpretiert
Das Weingut Cobenzl thront über der Stadt. Von hier oben sieht Wien aus wie ein Spielzeug. Die Donau glänzt, der Stephansdom ragt auf, dahinter verschwimmt alles im Dunst. Cobenzl macht modernen Wein. Präzise, klar, ohne falsche Romantik. Der Grüne Veltliner schmeckt nach Mineralien und Gras, der Riesling nach Zitrus und Stein.
Das Restaurant am Cobenzl kombiniert Wiener Küche mit internationalen Einflüssen. Hier wird Tafelspitz mit Grünem Veltliner serviert, Zanderfilet mit Riesling, Hirschmedaillons mit Pinot Noir. Die Köche verstehen ihr Handwerk, die Sommeliers kennen jeden Tropfen im Keller.
Das Weingut Christ in Jedlersdorf zeigt, wie Weinbau heute funktioniert. Hier arbeiten Computer und Tradition zusammen. Die Trauben werden nach Zuckergehalt sortiert, der Wein in temperaturkontrollierten Tanks vergoren. Handlese ist Standard, auch bei den günstigsten Weinen. Das Ergebnis: Weine, die international mithalten können.
Die Familie Christ experimentiert mit neuen Rebsorten. Sauvignon Blanc wächst hier seit zehn Jahren, Merlot seit fünf. Klimawandel macht es möglich. Wien wird wärmer, die Vegetationsperiode länger. Was früher unmöglich war, gelingt heute spielend.
Die Stadtvinothek am Stadtpark verkauft Wien im Glas. Hier treffen sich Kenner und Neugierige. Über hundert Wiener Weine stehen zur Auswahl. Von klassisch bis experimentell, von günstig bis exklusiv. Die Verkäufer kennen jeden Tropfen, jede Geschichte dahinter.
Jeden Freitag gibt es Verkostungen. Ein Winzer stellt seine Weine vor, erzählt von guten und schlechten Jahren, erklärt seine Philosophie. Diese Abende sind legendär unter Wienern. Hier lernt man mehr über Wein als in jedem Kurs. Wer eine tatsächliche Blindverkostung unternehmen möchte, sollte sich die Weinverkostung Wien von VierSinne genauer anschauen.
Mit dem Experten durch die Reben
Vienna Wine Tours macht aus Touristen Weinkenner. Zumindest für einen Tag. Die Touren führen durch die Weinberge, in die Keller, zu den Winzern. Ein Experte erklärt, warum Wiener Wein anders schmeckt als französischer oder italienischer. Es liegt am Klima, am Boden, an der Lage zwischen Donau und Wienerwald.
Die beste Tour beginnt am Nußberg. Von hier oben sieht man, wie nah sich Stadt und Weinberg sind. Unten die Straßenbahnen, oben die Reben. Dazwischen nur ein paar hundert Meter. Der Guide erzählt von Terroir und Mikroklima, von Handlese und biologischem Anbau. Dann kommt das Wichtigste: die Verkostung.
Der erste Schluck überrascht immer. Wiener Wein schmeckt anders, als man erwartet. Frischer, mineralischer, komplexer. Der Grüne Veltliner zeigt Noten von weißem Pfeffer und Kräutern. Der Riesling duftet nach Pfirsich und Honig. Selbst der Pinot Noir, hier Blauer Burgunder genannt, überzeugt mit seiner Eleganz.
Die Wiener Weinakademie bietet professionelle Kurse. Hier lernen Laien die Grundlagen, Fortgeschrittene verfeinern ihr Wissen. Die Dozenten sind Winzer, Önologen, Sommelier. Sie sprechen nicht nur über Wein, sie leben ihn. Nach einem Kurs versteht man, warum Wiener Wein so besonders ist.
Praktisches für Weinpilger
Wer Wien verkostet, sollte wissen: Die beste Zeit ist von April bis Oktober. Dann sind die Heurigen offen, die Weinberge grün, das Wetter mild. Im Winter macht nur die Stadtvinothek Sinn. Dafür sind die Preise niedriger, die Winzer haben mehr Zeit für Gespräche.
Reservieren ist klug, besonders am Wochenende. Die Wiener lieben ihre Heurigen, Touristen auch. Wer spontan kommt, wartet oft lange oder geht leer aus. Größere Gruppen sollten unbedingt anmelden. Viele Heurige bieten spezielle Gruppentarife mit Führung und Verkostung.
Die Anreise klappt perfekt mit den Öffis. Die Straßenbahn 38 fährt nach Grinzing, die S-Bahn nach Nußdorf. Autofahrer finden in den Weinorten genug Parkplätze, aber Vorsicht: Alkohol am Steuer ist auch in Wien strafbar. Wer mehrere Heurige besuchen will, nimmt das Weinwandertaxi. Das fährt zwischen den Weinorten hin und her, günstig und oft.
Die Preise sind fair. Ein Viertel Wein kostet zwischen drei und sechs Euro. Eine Jause für zwei Personen gibt es für zehn bis fünfzehn Euro. Teurer wird es nur in den Touristenfallen. Die erkennt man an den mehrsprachigen Speisekarten und den Bussen vor der Tür. Echte Heurige haben handgeschriebene Tafeln, oft nur auf Deutsch.
Trinkgeld ist üblich, aber nicht verpflichtend. Zehn Prozent sind angemessen, mehr ist nicht nötig. Bezahlt wird meist bar, Kreditkarten akzeptieren nur die größeren Betriebe.
Was der Wiener dazu isst
Zum Wein gehört die Jause. Das ist Gesetz in Wien. Eine Brettljause besteht aus Speck, Käse, Schmalzbrot und sauren Gurken. Dazu gibt es Liptauer, einen Aufstrich aus Topfen, Zwiebeln und Paprika. Verhackertes ist gehackter Speck mit Zwiebeln. Grammeln sind ausgelassene Speckwürfel. Alles sehr deftig, alles sehr wienerisch.
Die Portionen sind üppig. Eine Jause für zwei Personen sättigt vier normale Esser. Die Wiener nehmen das gelassen: Was nicht gegessen wird, kommt in die Doggy Bag. Reste wegwerfen ist verpönt, auch in den feinsten Lokalen.
Moderne Heurige erweitern das Angebot. Bei Mayer am Pfarrplatz gibt es Saiblingsfilet mit Wiener Erdäpfelsalat. Beim Cobenzl serviert man Wiener Schnitzel mit Preiselbeeren. Sogar Vegetarier finden etwas: Kürbiskernaufstrich, Kräuterquiche, geröstete Kürbiskerne.
Die gehobene Gastronomie hat den Wiener Wein entdeckt. Im Restaurant Opus im Hotel Imperial werden Wiener Riesling und Gänseleberpastete kombiniert. Im Steirereck trinkt man Grünen Veltliner zu gebeiztem Saibling. Diese Kombinationen funktionieren, weil Wiener Weine Charakter haben, ohne zu dominieren.
Das Wiener Schnitzel und Wiener Wein – diese Kombination ist ein Mythos. Tatsächlich passt der säurereiche Grüne Veltliner schlecht zum panierten Kalbfleisch. Besser harmoniert ein trockener Riesling oder ein leichter Rotwein. Die Wiener wissen das, bestellen trotzdem oft das Falsche. Tradition schlägt Logik.
Die besonderen Momente
Der Wiener Weinwandertag im September ist ein Fest für die Sinne. Dann öffnen alle Weingüter ihre Türen, die Winzer schenken ihre besten Tropfen aus, Musikanten spielen zwischen den Reben. Zehntausende wandern von Weingut zu Weingut, probieren, plaudern, feiern. Der öffentliche Verkehr wird verstärkt, Shuttlebusse verbinden die Weinorte.
Das Fest dauert von mittags bis spät in die Nacht. Wer alles sehen will, braucht Strategie. Experten empfehlen: Früh anfangen, langsam trinken, viel essen. Am besten kauft man eine Weinwanderkarte. Die kostet zwanzig Euro und berechtigt zu Gratisverkostungen in allen teilnehmenden Betrieben.
Wer im Herbst kommt, kann bei der Lese helfen. Viele Weingüter suchen Freiwillige. Morgens um sieben geht es los, mittags gibt es Gulasch und Wein, abends sind alle müde und glücklich. So lernt man Wien von einer Seite kennen, die kein Reiseführer zeigt. Die Arbeit ist hart, aber die Atmosphäre entschädigt für alles.
Private Kellerführungen sind ein Geheimtipp. Viele Winzer führen persönlich durch ihre Keller, erzählen von guten und schlechten Jahren, lassen seltene Weine probieren. Diese Führungen muss man anfragen, spontan gibt es sie nicht. Aber die Mühe lohnt sich. Hier erfährt man Geschichten, die in keinem Buch stehen.
Geheimtipps der Einheimischen
Die Wiener meiden Grinzing am Wochenende. Sie fahren unter der Woche hin, oder sie weichen aus nach Stammersdorf. Dort ist es ruhiger, ursprünglicher, günstiger. Der Wein schmeckt genauso gut, die Atmosphäre ist authentischer. Stammersdorf liegt im 21. Bezirk, weit ab vom Touristenstrom.
Nachmittags ist besser als abends. Zwischen drei und sechs Uhr sind die Heurigen nicht überfüllt, der Service entspannter, die Stimmung gemütlicher. Abends wird es oft zu laut, zu voll, zu touristisch. Dann kommen die Reisegruppen, die Junggesellenabschiede, die Betriebsausflüge.
Ein echter Wiener bestellt nie eine Weinschorle. Er trinkt seinen Wein pur oder gar nicht. Wasser gibt es gratis dazu, aber gemischt wird nicht. Das ist Gesetz, ungeschrieben, aber eisern. Wer trotzdem eine Schorle will, bekommt sie – aber die Blicke der anderen Gäste.
Der Heurigenkalender ist heilig. Nur wenn der grüne Zweig hängt, ist geöffnet. Ohne Zweig ist zu, auch wenn Licht brennt und Menschen sitzen. Diese Regel gilt seit Jahrhunderten, auch Touristen müssen sie akzeptieren. Der Kalender hängt in jedem Heurigen aus, im Internet steht er auch.
Wer wie ein Einheimischer wirken will, begrüßt mit "Servus" und verabschiedet sich mit "Baba". "Danke" heißt "Danke schön", "Bitte" heißt "Bittschön". Diese kleinen Höflichkeiten öffnen Herzen und Weinkeller.
Wien trinkt sich in die Zukunft
Wien überrascht als Weinstadt. Eine Millionenmetropole mit eigenen Weinbergen – das gibt es sonst nirgends. Die Qualität steigt Jahr für Jahr, die internationale Anerkennung wächst, die Tradition bleibt lebendig.
Der Klimawandel verändert den Wiener Weinbau. Wärmere Sommer ermöglichen neue Rebsorten, längere Vegetationsperioden verbessern die Qualität. Gleichzeitig steigt das Risiko von Extremwetter. Hagel, Frost, Starkregen können eine ganze Ernte vernichten. Die Winzer passen sich an, investieren in Hagelnetze und Beregnungsanlagen.
Die Stadt Wien unterstützt ihre Winzer. Förderungen gibt es für biologischen Anbau, für Kellersanierungen, für Qualitätsverbesserungen. Ein Stadtrat für Weinbau koordiniert die Maßnahmen. Wien ist stolz auf seine Winzer – zu Recht.
Wer Wien besucht und nur Schönbrunn und Stephansdom sieht, verpasst das Beste. Wien trinkt sich schön – seit zweitausend Jahren. Wer das einmal erlebt hat, versteht, warum die Wiener so entspannt sind. Sie haben immer etwas zu feiern: den neuen Wein, den alten Wein, das Leben überhaupt.
Eine Weinverkostung in Wien ist mehr als Alkohol trinken. Es ist Eintauchen in eine Kultur, die das Leben feiert, ohne es zu dramatisieren. Es ist Wien, wie es wirklich ist: entspannt, genussvoll, überraschend ehrlich. Prost!